Betroffenenvertretung
I Allgemeine Überlegungen
II Die Kontorverse mit dem Bistum
III Der Aufruf zur Betroffeneninitiative
zu I) Allgemeine Überlegungen
1. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Betroffene von Missbrauch andere Interessen haben als die Verantwortlichen des Bistums bzw. die kath. Kirche im Allgemeinen. Das wird allein am mehr als 10 Jahre dauernden Verfahren einer angemessenen Entschädigung deutlich.
2. In unserem Rechtstaat haben Bürger das Recht, sich in Interessengruppen zusammenzuschließen und sich eigenständig zu organisieren, solange sie sich an die Rechtsordnung des Staates halten.
3. Dies gilt allerdings nicht für Missbrauchsbetroffene der Kirche. Denn:
- Allein das jeweilige Bistum verwaltet die Akten der Täter und der Opfer.
- Für eine selbstbestimmte Organisation von Betroffenen müsste es ein erstes Treffen dieser Betroffenen geben, auf dem die Anwesenden sich austauschen und organisieren können.
- Bei diesem sensiblen Thema muss gewährleistet sein, dass an diesem Treffen wirklich nur Missbrauchsopfer teilnehmen. Die Betroffenen müssen daher persönlich angeschrieben werden. Außerdem muss es beim Treffen selbst eine Einlasskontrolle geben. In beiden Fällen sind die Betoffenen auf die Hilfe des Bistums angewiesen, weil nur das Bistum die dafür notwendigen Daten hat.
- Diese Hilfe wird aber vom Bistum bisher verweigert.
4. Es mag ja sein, dass das Bistum sich eine Betroffenenvertretung anders vorstellt. Darum geht es aber nicht.Vielmehr geht es darum:
Das Bistum versucht zu bestimmen, ob sich die Betroffenen überhaupt austauschen und vernetzen können, wie sie ihre Vertretung organisieren und welche Vertreter sie wählen. Das verstößt gegen das Selbstbestimmungsrecht von Betroffenen. Es ist eindeutig Machtmissbrauch, weil damit zum eigenen Vorteil in Grundrechte anderer eingegriffen wird. Dass diese "anderen" zudem Opfer von Priestern des Bistums bzw. Opfer der Entscheidungen der Verantwortlichen im Bistum sind, kommt erschwerend hinzu.
Der Bischof bzw. die Bistumsvertreter verstehen sich offensichtlich mehr oder weniger als "institutionell vorgegebene Sachverwalter der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs" im Bistum.
Sie sind aber auch interessengeleitete Partei in der Aufarbeitung weil sie sich als Verantwortliche immer wieder als Interessenvertreter der Priester in das Verfahren eingebracht haben.
Gleichzeitig halten sie es aber für vollkommen "normal", dass sie auch über die Betroffenen und ihre Vertreter (mit-)bestimmen.
Diese unvereinbaren Rollen bieten vielleicht Erklarungsansätze für die folgende Kontroverse:
zu II) Die Kontroverse mit dem Bistum
Ende Oktober gab es ein Gespräch zwischen dem Bistum und den Sprechern der Selbsthilfegruppen aus Rhede und Münster. Die wesentlichen Vereinbarungen wurden von Kirche und Leben im November dargestellt.
Inzwischen ist das Bistum von diesen Absprachen abgewichen und führt ein Verfahren durch, das die eigenständige und selbstbestimmte Wahl von Betroffenenvertretern aufgibt. Das hat zu einer Kontroverse zwischen dem Bistum und den Sprechern der Selbsthilfegruppen in Rhede und Münster geführt, an dessen Ende wir uns entschieden haben, die Zusammenarbeit mit dem Bistum zu beenden.
Im Folgenden stellen wir unsere Presseerklärung und die etwas ausführlicher Sicht der Abläufe dar. Dass die Sicht des Bistums auf dieses Geschehen von unserer Darstellung abweicht, ist nachvollziehbar und durchaus verständlich. Sonst gäbe es diese Kontroverse nicht.
Unsere Presseerklärung:
"Missbrauchsopfer kündigen die Zusammenarbeit mit dem Bistum auf.
Begründet liegt dies darin, dass die gemeinsam getroffene Vereinbarung zwischen Vertretern der Selbsthilfegruppen Rhede und Münster und Vertretern des Bistums Münster von Seiten des Bistums nicht eingehalten worden ist. Die Selbsthilfegruppen fühlen sich dadurch erneut missbraucht. Sie stellen sich daher die Frage, ob das Bistum Münster an einer ernsthaften Beteiligung der Missbrauchsopfer auf Augenhöhe überhaupt interessiert ist. Sie sind nicht bereit, sich auf die Funktion eines Feigenblattes reduzieren zu lassen und halten es für geboten, sich an die Öffentlichkeit zu wenden.
Bei einem Treffen im Oktober 2020 zwischen Vertretern des Bistums Münster (Bischof Genn, Interventionsbeauftragter Peter Frings und dessen Mitarbeiter Stefan Baumers) sowie den Sprechern der Selbsthilfegruppen Rhede und Münster (Martin Schmitz und Antonius Kock), war das zentrale Thema die Betroffenenbeteiligung im Bistum. Vereinbart wurde: Alle dem Bistum bekannten Missbrauchsopfer werden zu einem ersten Vernetzungstreffen schriftlich
eingeladen. Inzwischen hat das Bistum entschieden, nur noch diejenigen, die Interesse an einer Mitarbeit in Bistumsgremien haben, lediglich über einen allgemeinen Presseaufruf einzuladen. Damit schließt das Bistum einen Teil der Betroffenen aus. Die Selbsthilfegruppen verfügen aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht über die Adressen der anderen Betroffenen und sind so auf die Mithilfe des Bistums angewiesen. Ziel der Selbsthilfegruppen ist, alle Betroffenen zu erreichen und ihnen unabhängig vom Bistum eine Möglichkeit zur Selbstorganisation zu geben. So könnten VertreterInnen der Betroffenen auch mit Mandat und Legitimation konstruktiv in Bistumsgremien an der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals mitarbeiten. Auf diese Weise würden auch diejenigen eine Stimme bekommen, die durch die Missbrauchstaten so verletzt sind, dass sie den Kontakt zur Kirche meiden."
Der Presseerklärung haben wir folgende Darstellung hinzugefügt, die den Diskussionsprozess etwas differenzierter darstellt:
"Ende Oktober 2020 hat es ein Treffen der Sprecher der Selbsthilfegruppen in Rhede und Münster, Antonius Kock und Martin Schmitz, mit Bischof Genn sowie dem Interventionsbeauftragten Peter Frings und seinem Assistenten Stefan Baumers in Münster. Zentrales Gesprächsthema war die Betroffenenbeteiligung im Bistum. Nach langer Diskussion wurde vereinbart:
1. Alle namentlich bekannten Betroffenen im Bistum werden schriftlich zu einem ersten Treffen eingeladen. An diesem Treffen nehmen ausschließlich Betroffene teil. Auch Bistumsvertreter sind von diesem Treffen ausgeschlossen.
2. Dieses Treffen sollte bewusst nicht als Bistumsveranstaltung abgehalten werden. So fühlen sich auch die Betroffene nicht ausgegrenzt, die wegen ihrer Erfahrungen als Opfer den Kontakt zum Bistum meiden.
3. Auf dieser Veranstaltung könnte überlegt werden, in welchem Umfang und mit welchen Vertretern sich Betroffene an einer Mitarbeit im Bistum beteiligen wollen. Diese Vertreterinnen und Vertreter erhalten durch die direkte Wahl eine Legitimation und ein Mandat.
4. Da ausschließlich das Bistum über die persönlichen Daten und Adressen der Betroffenen verfügt, kann eine solche Einladung nur über das Bistum erfolgen. In der nachfolgenden Diskussion haben wir darauf hingewiesen, dass auch ein Notar stellvertretend den Postversand organisieren könnte, um den direkten Kontakt zwischen Bistum und Betroffenen zu umgehen.
5. Sexueller Missbrauch ist immer auch Machtmissbrauch und traumatisierende Fremdbestimmung. Daher kann eine angemessene Aufarbeitung auf die Selbstorganisation von Betroffenen als zentrales Element nicht verzichten.
6. Dazu gehört auch, dass Betroffene ihre Vertreter selbst bestimmen.
7. Corona-bedingt kann das erste Treffen voraussichtlich erst im Frühjahr 2021 stattfinden.
In der nahfolgenden Vorbereitung dieses ersten Treffens haben der Interventionsbeauftragte und sein Assistent diese Vereinbarungen grundlegend verändert.
1. Statt eines persönlichen Anschreibens soll nur noch über eine Presseveröffentlichung eingeladen werden.
2. Eingeladen werden auch nur noch Betroffene, die Interesse an einer Mitarbeit in Bistumsgremien bekunden, incl. Beratungsangebot durch die Interventionsstelle des Bistums für all jene, die sich unsicher sind, eine solche Aufgabe zu übernehmen.
3. Die Rückmeldung des Interesses erfolgt über die Interventionsstelle des Bistums. Diese Stelle lädt dann die Interessenten schriftlich ein. Eine selbstbestimmte, vom Einfluss der Kirche unabhängige Betroffenenvertretung wird dadurch unmöglich gemacht.
4. Nach persönlichen Gesprächen und intensiver Korrespondenz, bei der wir explizit klar gestellt haben, dass diese Änderungen die grundlegenden Prinzipien einer Interessenvertretung von Betroffenen ad absurdum führen, wurde Zeitdruck aufgebaut.
5. Letztlich wurde uns nur noch angeboten, uns kurzfristig zwischen zwei vom Interventionsbeauftragten Peter Frings formulierten Vorgaben zu entscheiden.
In der ersten Variante wurden wir als Mitverfasser des Aufrufs aufgeführt, insbesondere als Ansprechpartner für kirchenferne Betroffene.
Die zweite Variante unterschied sich von der ersten nur darin, dass das gesamte Verfahren ausschließlich über die Interventionsstelle des Bistums organisiert wird.
An dieser Stelle haben wir uns nach Rücksprache mit unseren Gruppenmitgliedern entschieden, aus der Zusammenarbeit mit dem Bistum auszusteigen. Denn die Vorstellungen von Betroffenenbeteiligung sind unvereinbar:
· Wir sehen die Betroffenen systembedingt als Gruppe mit eigenen Interessen, die auch die Möglichkeit haben müssen, sich selbst zu organisieren und ihre Interessen selbstbestimmt zu vertreten.
· Das Bistum sieht offensichtlich in den Betroffenenvertretern lediglich Ansprechpartner, die gegebenenfalls dazu herangezogen werden, die eigenen Vorstellungen von Aufarbeitung besser organisieren zu können. Wenn die Betroffenenbeteiligung aber nur dazu dient, die eigenen Interessen besser umsetzen zu können, ist das in hohem Maße übergriffig. Es ist nichts anderes als Missbrauch mit den Missbrauchten."
zu III) Der Aufruf zur Betroffeneninitiative
Inzwischen haben wir uns dem "Aufruf zur Betroffeneninitiative" angeschlossen. Nähere Informationen dazu finden Sie hier.