Stellungnahme zur Einrichtung eines Betroffenenbeirates bei der Bischofskonferenz
Grundsätzlich ist zu begrüßen, dass die Bischofskonferenz die Betroffenen sexualisierter Gewalt stärker in ihre Beratungen einbeziehen will. Denn in den letzten zehn Jahren der Aufarbeitung des Missbrauchs wurden zwar durch die Anträge auf „Anerkennung des Leids“ und durch die MHG-Studie Daten über den Missbrauch erfasst. Auf der Ebene der Bischofskonferenz und Kirchenleitung hat es auch intensive Bemühungen gegeben, im Interesse der Kirche den Missbrauch „in den Griff zu bekommen“. Dies gilt nicht nur regional für Deutschland, sondern zeigt sich auch weltweit an der „Kinderschutzkonferenz“ im Frühjahr 2019 in Rom. Die Kirche formuliert auch immer wieder, wie wichtig ihr das Einbeziehen der Betroffenen in den Aufarbeitungsprozess ist. So heißt es in der Präambel zur Einrichtung des Betroffenenbeirats: „Wichtige und vorrangige Stimme bei dem Umgang mit sexuellem Missbrauch in der Kirche sind die Personen, die selbst im Raum der Kirche sexuellen Missbrauch erlitten haben. Durch Beschluss der deutschen Bischöfe soll deshalb eine kontinuierliche und institutionalisierte Beteiligung von Betroffenen sexualisierter Gewalt in die Arbeit der Deutschen Bischofskonferenz erfolgen.“
Weil die Daten zum Missbrauch und zu den Missbrauchsopfern im kirchlichen Kontext ausschließlich in den Händen der Kirche liegen, kann es ohne die kirchliche Unterstützung nicht einmal Ansätze für entsprechende Strukturen auf der Ebene der Betroffenen geben, sieht man von regionalen und spezifischen Gruppen ab. Da die Kirchenoberen sich auch als Vertreter der Betroffenen verstehen (Bischof Genn im Jahre 2018: „Bei allem, was wir tun, müssen die Opfer im Mittelpunkt stehen“), kann man in dieser Hinsicht auch von Versäumnissen der Kirchenleitungen sprechen. Betroffene selbst haben keinen Zugriff auf die Daten anderer Betroffener, können daher von sich aus andere Betroffene auch nicht gezielt ansprechen. Außerdem fehlt den Betroffenen bisher eine entsprechende Infrastruktur sowie eine entsprechende finanzielle Grundlage, die eine funktionierende Vernetzung und Organisation von Betroffenen möglich macht.
Die Initiierung eines Betroffenenbeirats ist daher eine bedeutsame Maßnahme der Bischofskonferenz im Sinne der Betroffenen. Wenn man jedoch die bisherigen Planungen aus deren Sicht betrachtet, gibt es erhebliche Zweifel, ob dieses Gremium aus zwölf Betroffenen diese Interessen ernsthaft und nachhaltig vertreten kann. Denn bereits im Vorfeld hat die Bischofskonferenz wesentliche Entscheidungen über die Struktur der Betroffenenvertretung, das Auswahlverfahren und damit die konkrete Auswahl der Interessenten getroffen, ohne die vom sexuellen Missbrauch Betroffenen in diese Entscheidungen einzubeziehen. Die Kritik im Einzelnen:
1. „Der Beirat orientiert sich an den Standards entsprechender Gremien des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) und der Erzdiözese Köln.“
2. Wenn die Zahl der Vertreter vorab auf 12 begrenzt wird, bedeutet dies, dass nicht einmal jedes zweite Bistum durch einen Betroffenen vertreten wird. Wenn darüber hinaus in diesen 12 Vertretern auch noch „unterschiedliche Kontexte berücksichtigt werden (sollen), in denen sexualisierte Gewalt geschehen ist“, wie institutionelle, geografische und zeitliche Faktoren, werden sich diese verschiedenen Kriterien kaum in einer so kleinen Gruppe angemessen abbilden lassen.
3. Der Betroffenenbeirat „soll die Arbeit der Deutschen Bischofskonferenz in der Ausein-andersetzung mit sexuellem Missbrauch begleiten und gemeinsam mit den zuständigen Gre-mien über Arbeiten in diesem Bereich beraten“. Die Beschränkung des Gremiums auf das Begleiten und Beraten deutet nicht darauf hin, dass der geplante Beirat ein irgendwie gear-tetes eigenständiges Stimmrecht hat. Nur dann können Betroffene aber ernsthaft und selbst-bestimmt ihre Interessen vertreten. „Die Mitglieder des Betroffenenbeirates sollen sich für die Belange Betroffener sexualisierter Gewalt einsetzen und diese Perspektive in den Arbeiten der Deutschen Bischofskonferenz vertreten.“ Unter den geplanten Vorgaben wird dies kaum möglich sein.
4. Nicht die interessierten Betroffenen wählen ihre Vertreter / Vertreterinnen, sondern ein Auswahlgremium, das sich zusammensetzt aus jeweils einem Vertreter / einer Vertreterin
a. des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs,
b. der Betroffenen,
c. der Wissenschaft,
d. des Beauftragten für Fragen des sexuellen Missbrauchs im kirchlichen Bereich und für Fragen des Kinder- und Jugendschutzes der Deutschen Bischofskonferenz,
e. der deutschen Ordensobernkonferenz und
f. der Politik.
Aus machtpolitischen Erwägungen ist durchaus nachvollziehbar, dass Vertreter der Bischofskonferenz und der Orden in diesem Auswahlgremium beteiligt werden. Dass dies im Sinne der Betroffenen sein soll, erschließt sich nicht. Ebenso wenig kann man nachvollziehen, dass man Vertreter aus Wissenschaft und Politik benötigt, um aus den Interessenten geeignete Kandidaten herausfiltern zu können. Nur zwei mögliche Schlüsse sind daraus möglich: Entweder traut man den Betroffenen nicht einmal zu, aus ihren Reihen ihre Vertreter selbst auswählen und benennen zu können. Wenn man ihnen aber schon das nicht zutraut, wieso sollte man ihnen dann zutrauen, ernsthaft und eigenverantwortlich „ihr Erfahrungswissen, ihre fachliche Expertise sowie die Perspektiven und Positionen von Betroffenen gezielt und themenspezifisch in die Arbeit“ einbringen zu können. Oder der Bischofskonferenz liegt von vornherein nichts an einer eigenständigen und selbstbestimmten Interessenvertretung der Betroffenen. Beide Varianten machen wenig Hoffnung auf eine sinnvolle und ergebnisorientierte Zusammenarbeit zwischen Betroffenenbeirat und Bischofskonferenz.
5. „Das Büro für Fragen sexuellen Missbrauchs sichtet die Interessenbekundungen. Geeignete Bewerberinnen und Bewerber werden zu einem Gespräch eingeladen, an dem mindestens drei der Mitglieder des Auswahlgremiums teilnehmen müssen. Das Auswahlgremium wählt auf der Basis des durchgeführten Interessenbekundungsverfahrens die Mitglieder des Betroffenenbeirates.“
Das Büro für Fragen sexuellen Missbrauchs trifft also schon eine Vorauswahl unter den Interessenten, die es für „geeignet“ hält. An dieser Stelle werden Betroffene erst gar nicht einbezogen. Auch im Gremium, das im Bewerbungsgespräch auswählt, müssen nicht immer Vertreter von Betroffenen beteiligt sein, da es eventuell aus nur drei von sechs möglichen Gremienmitgliedern besteht.
6. „Das Auswahlgremium schlägt dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz die Mitglieder des Betroffenenbeirats vor, der diese dann für eine Amtszeit von drei Jahren beruft.“
Offensichtlich hat das Auswahlgremium nur Vorschlagsrecht. Die endgültige Zusammensetzung des Betroffenenbeirats wird demnach vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofs-konferenz entschieden. Es ist also vorgesehen, dass man vom Vorsitzenden der Bischofskonferenz „ausgewählt und berufen“ wird, um danach als Mitglied dieses Beirats genau die-ses Gremium aus Bischöfen kritisch zu begleiten. Das hat aus der Sicht von Betroffenen wenig mit eigenständiger Interessenvertretung zu tun, zeigt es doch die Abhängigkeit der Mitglieder des Beirats von den Vertretern der Institution Kirche.
7. „Inhaltlich und organisatorisch wird der Betroffenenbeirat durch das Büro für Fragen sexuellen Missbrauchs im Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz begleitet.“
Es ist also nicht vorgesehen, den Betroffenenbeirat eigenständig agieren zu lassen, sondern auch organisatorisch an die Kirchenleitung zu binden.
Sicherlich ist es auch hilfreich für den Beirat, die vorhandenen Strukturen nutzen zu können. Die Anbindung an diese Organisationsstruktur schränkt aber auch die Eigenständigkeit ein. Die Erfahrungen aus den letzten Jahren und Jahrzehnten lassen es geboten erscheinen, diese Eigenständigkeit auf keinen Fall aufzugeben. Dies müsste den Bischöfen eigentlich nach den langjährigen Erfahrungen mit Vertuschung und Verhinderung von Öffentlichkeit auch bewusst sein. Dennoch ist die enge Anbindung an die Kirchenleitung wissentlich vorgesehen.
8. „Im Falle des Ausscheidens einzelner Mitglieder während einer Arbeitsperiode erfolgt grundsätzlich keine Nachbesetzung.“
Sollte die Arbeit des Beirats nicht nur eine Alibi-Veranstaltung werden, ist davon auszugehen, dass jedes Beiratsmitglied entsprechende Aufgaben zugeteilt bekommt und verantwortlich übernimmt. Durch diesen Passus bereits bei der Konstitutionierung des Beirats die Grundlagen für eine reguläre Arbeitsumgebung zu entziehen, falls ein Mitglied aus welchem Grund auch immer ausfällt, ist nicht nur absurd, sondern vermutlich eine einzigartige Pla-nungsvorgabe für ein funktionierendes Gremium.
„Bei allem, was wir tun, müssen die Opfer im Mittelpunkt stehen“, heißt es bei Bischof Genn. Die Vorgaben für den Betroffenenbeirat lassen vermuten, dass der Interpretationsspielraum dieses Satzes in vollem Umfang ausgeschöpft wird. Offensichtlich verstehen die Bischöfe darunter etwas vollständig Anderes als Laien und erst recht die Betroffenen von sexuellem Miss-brauch.
Schlussfolgerung:
Auch 10 Jahre nach dem Aufkommen des Missbrauchsskandals gibt es aus Sicht der Kir-chenoberen offensichtlich keine Notwendig für eine eigenständige Betroffenenvertretung. Am geplanten Verfahren für die Institutionalisierung des Betroffenenbeirats in der Bischofs-konferenz wird deutlich: Für eine wirkliche Interessenvertretung von Betroffenen wird man auf Kirchenvertreter nicht bauen können, auch wenn sie dies immer wieder betonen. Die Kritikpunkte zeigen, dass die Institution Kirche auch nach all den Jahren vor allem im Blick hat, jedwede Verfahren im Umgang mit dem Missbrauch zu kontrollieren und zu bestimmen, in jeder Situation die Deutungshoheit zu behalten. Die Betroffenen bleiben, auch im geplanten Beirat, Objekte der Kirchenoberen, eine immer wieder proklamierte Stärkung und Eigenständigkeit der Betroffenen ist nicht wirklich erkennbar.
Für eine reale Interessenvertretung werden sich die Betroffenen eigenständig auf den Weg machen müssen. Sie werden sich unabhängig von der Kirche vernetzten und organisieren müssen, um sich aus dieser – hoffentlich gestärkten – Position heraus in den Diskussionsprozess einbringen zu können.
Antonius Kock 04.01.2020