Anerkennungszahlungen
Die Deutsche Bischofskonferenz hat im Herbst 2020 beschlossen, die bisherigen "Zahlungen zur Anerkennung des Leids" zu korrigieren. Daher gibt es seit dem 1. Januar 2021 gibt es die Möglichkeit, einen erneuten Antrag auf Anerkennungszahlungen zu stellen.
1. Informationen zur Antragsstellung
Ausführliche Informationen dazu gibt es auf der Internetseite des Eckigen Tisches:
https://www.eckiger-tisch.de/betroffene-anerkennungszahlungen/
Dort wird nicht nur der Ablauf des Verfahrens erläutert. Es werden auch Tipps für das Ausfüllen der Anträge gegeben.
Weitere Informationen (mit Formular) gibt es auf der Seite Ehemaliger Heimkinder https://www.veh-ev.eu/formular/
Die offiziellen Antragsformulare und Verlautbarungen zum Verfahren gibt es auf der Internetseite der Deutschen Bischofskonferenz: Sexueller Missbrauch: Deutsche Bischofskonferenz (dbk.de)
2. Anmerkungen zum Verfahren
a) Unabhängigkeit des Entscheidungsgremiums
Im Gegensatz zur ersten Antragsstellung wird die Entscheidung über die Höhe der Zahlungen nicht von Kirchenvertretern selbst festgelegt, sondern von einer unabhängigen Expertengruppe (UKA), die seit dem 1.1.2021 existiert und sich aus Fachleuten unterschiedlicher Fachrichtungen zusammensetzt. Merkwürdig ist allerdings, dass nicht diese Fachleute die Kriterien für die Bewertung festgelegt haben. Diese Kriterien wurden bereits im Jahre 2020 von der DBK vorgegeben. Auch die Höhe der Zahlungen war bereits vorab von der DBK begrenzt worden (1.000€ bis 50.000€, abzüglich der bereits geleisteten Zahlungen). Abweichungen von der Maximalzahlung gibt es nur mit gesonderter Zustimmung des jeweiligen Bistums.
a) Betroffenenorientierung
Angeblich dient das von der DBK gewählte Verfahren insbesondere den Betroffenen. Da das Gremium nur aus 7 Personen (inzwischen 11) besteht, sich nur einige Male im Jahr trifft, wird es Jahre dauern, bis alle Anerkennungsverfahren abgearbeitet sind. Dass sich die Verfahren über Jahre hinziehen wird, ist von vornherein einkalkuliert, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Betroffenen.
Sollte es auch nicht so sein, dass die Antragssteller und ihre Berater darüber informiert werden, welche Aspekte in der Antragsstellung bedeutsam sind, welche für die Experten eher unwichtig für deren Bewertungen sind? Das erneute Antragsverfahren wird für die meisten Betroffenen ohnehin zu großer Belastung führen. Eigentlich sollte es also allen Verantwortlichen ein dringendes Bedürfnis sein, diese Belastungen zu minimieren. Das setzt aber voraus, dass die Berater der Betroffenen detailliert über die Entscheidungskriterien des Gremiums informiert werden. Eine solche Beratung gab es und gibt es aber nicht.
c) Rechtssicherheit?
Die Geschäftsordnung des Entscheidungsgremiums soll einen ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens garantieren. Die aktuelle Geschäftsordnung stammt aus dem September 2021. Auf welcher Grundlage wurde in den Monaten davor entschieden?
Es verwundert zudem, dass die Bischofskonferenz mit diesem Anerkennungsverfahren ein Regulierungsverfahren installiert hat, das bereits innerhalb des ersten Jahres wegen der Anzahl der Anträge reformbedürftig ist. Dabei war die hohe Zahl der Anträge absehbar! Denn selbst Erzbischof Woelki hat im Vorfeld die Neuregelung kommentiert mit den Worten: "Es geht wenigstens um ein Mindestmaß an Gerechtigkeit".
Ursprünglich war vorgesehen, dass mindestens 5 der 7 Gremienmitglieder mit unterschiedlicher Fachexpertise über einen Antrag entscheiden (Juristen, Psychologen ...). Im jetzigen Verfahren wird die Anzahl der Experten pro Antrag auf 3 reduziert. Das bedeutet, dass man bei der aktuellen Bewertung auf die Sichtweise bestimmter Fachrichtungen bewusst verzichtet. Das ist nicht nur eine quantitative, sondern auch eine qualitative Veränderung des Verfahrens!
Das Ergebnis der Entscheidungskommission ist praktisch nicht anfechtbar. Ein einmaliges Widerspruchsrecht gegen den Bescheid ist laut Bischofskonferenz zwar geplant, aber bisher nicht rechtswirksam. Selbst wenn es rechtswirksam wäre: Einen sachlich fundierten Widerspruch gegen eine Entscheidung kann man doch nur einlegen, wenn man eine Grundlage für die Argumentation hat. Eine Begründung für die Höhe der Zahlung erhalten Betroffene aber nicht!
3. Zwischenstand
Mehr als ein dreiviertel Jahr nach der Ankündigung auf der Bischofskonferenz im Herbst 2020 fasste der Eckige Tisch den für Betroffene erschreckenden Stand des Verfahrens in einem Hilferuf an die Deutschen Bischöfe zusammen.
4. Pressekonferenz der UKA
Im Februar 2022 gab es eine Pressekonferenz der UKA, in der der Tätigkeitsbericht für das Jahr 2021 vorgestellt wurde.
In dieser Pressekonferenz wurde nochmals betont, wie wichtig die Formulierung und Argumentation des Antrags sind, weil diese Angaben die einzige Grundlage für die Entscheidungskommission ist.
Darüber hinaus wurde besonders hervorgehoben, dass diejenigen, die die Betroffenen bei der Antragsstellung beraten, keinesfalls Mitarbeiter des jeweiligen Bistums sein können und dürfen, sondern zwingend unabhängig vom Bistum sein müssen.
5. Aktuelle Statistik der Anerkennungszahlungen
Die Daten und ihre Auswertung beruhen auf der Statistik, die die Interventtionsstelle Ende Juni der Selbsthilfe zugesandt hat:
Da die Durchschnittszahlungen relativ wenig aussagekräftig sind, sind die Zuweisungen der UKA in Unterkategorien aufgeteilt, so dass man leichter erkennen kann, wieviel Betroffene bisher höhere Beträge, wieviel niedrigere Anerkennungszahlungen erhalten haben:
6. Ungleichbehandlung bei der Antragsstellung
Der Bayrische Rundfunk berichtet am 16.08.2022 von deutlich unterschiedlichen Anerkennungszahlungen bei vergleichbarer Leidensgeschichte. https://www.br.de/nachrichten/bayern/katholische-kirche-missbrauchsopfer-monieren-ungleichbehandlung,TEeXK9p
Die UKA rechtfertigt sich für die Ungleichbehandlung mit der unterschiedlichen Darstellung in der Antragsstellung.
Das ist als Begründung nicht hinnehmbar. Denn die UKA hat bis heute die Kriterien für die Formulierung und Bewertung eines Antrags nicht offengelegt. Es ist also reiner Zufall, ob man den Antrag so gestellt hat, wie ihn die UKA für eine angemessene Bewertung benötigt.
7. Folgen des Gerichtsverfahrens in Köln 2023 zum Thema Schmerzensgeld
Nach dem bemerkenswerten Urteil zur Höhe des Schmerzensgeldes in Köln entdeckt der Interventionsbeauftragte des Bistums Münster überraschend Kritikpunkte am Vorgehen der UKA.
Diese Kritikpunkte sind in vielen Punkten nicht neu(s.o), fanden aber beim Bistum kein Gehör.
Diesen werbewirksamen Artikel von Herrn Frings möchte ich nicht unkommentiert lassen:
a. Das vereinfachte Antragsverfahren im Bistum Münster
Noch vor der Gründung der UKA hat Herr Frings alle Betroffenen des Bistum Münster angeschrieben und für ein „vereinfachtes Antragsverfahren“ geworben.
Um den Betroffenen die Belastung (Retraumatisierung) der Betroffenen für das UKA-Verfahren zu ersparen, bietet die Interventionsstelle den Betroffenen an, die Antragsstellung stellvertretend für die Betroffenen auf der Grundlage der bereits vorliegenden Daten zu stellen.
https://www.bistum-muenster.de/fileadmin/user_upload/Website/Downloads/Rat-Hilfe/Ansprechpartner-sex-Missbrauch/2020-10-27-Verfahren-Antragsneubewertung-Betroffene-sex-Missbrauch.pdf
b. Die Blanko-Vollmacht
Dieses Angebot wurde im Oktober 2020 gemacht, also Monate vor der Gründung der UKA. Mehr als 100(!) Betroffene hatten bis zum November 2020 dieses Angebot angenommen. Zu einem Zeitpunkt also, bei dem die Bedingungen des UKA-Verfahrens noch gar nicht bekannt sein konnten. Nicht der Interventionsstelle, erst recht nicht den Betroffenen.
Den Betroffenen ist kein Vorwurf zu machen. Dass aber Herr Frings als Syndikusanwalt des Bistums den Betroffenen ein solches Angebot unterbreitet, obwohl er vorrangig die Interessen des Bistums zu vertreten hat, ist mehr als fragwürdig. Denn er nutzt die Angst der Betroffenen vor Retraumatisierung sowie das (inzwischen kaum mehr nachvollziehbare) Vertrauen in die Institution Kirche, um Blankovollmachten zu erhalten.
Hätte jemand im realen Leben bei einem hohen wirtschaftlichen Schaden durch ein Unternehmen die Antragstellung auf Schadensersatz ernsthaft dem Syndikusanwalt dieses Unternehmens zugestanden? Wohl kaum! Erst recht nicht zu einem Zeitpunkt, an dem das Verfahren der Entschädigung noch vollkommen ungeklärt ist!
c. Die fingierte Unabhängigkeit der Berater
Herr Frings ist als Syndikusanwalt leitender Mitarbeiter des Bistums. Frau Reske von der UKA hat im Zeit-Interview vom 4.11.2022 zur Unabhängigkeit der Berater folgendes erklärt: „Es handelt sich um ein zweistufiges Verfahren mit unabhängigen Ansprechpersonen vor Ort. Das sind zum Beispiel Juristen, Mediziner, Sozialarbeiter, ehemalige Polizeibeamte und gerade keine Bistumsmitarbeiter.“
Das Ziel der Interventionsstelle, mit dem vereinfachten Verfahren die Anträge möglichst schnell durchzuziehen, um frühzeitig Anerkennungszahlungen leisten zu können, scheiterte jedoch an der Weigerung der UKA, die stellvertretende Unterschrift des Interventionsbeauftragen auf der Datenschutzerklärung zu akzeptieren, wie aus dem Protokoll des Betroffenentreffens mit dem Bischof am 01.07.2022 hervorgeht:
„Herr Baumers erläutert, dass gerade bei der Unterschrift unter die datenschutzrechtlichen Erklärungen ein erheblicher Mehraufwand geleistet werden musste. Die Interventionsstelle im Bistum Münster hatte gehofft, hier ein betroffenenfreundliches Verfahren abzuwickeln. Die UKA hat jedoch die Unterschrift des Syndikusanwalts nicht akzeptiert und bestand darauf, dass alle Betroffenen persönlich Unterschriften leisten. Dadurch ist das Verfahren aus Sicht der Interventionsstelle unnötig in die Länge gezogen worden.“
https://www.bistum-muenster.de/fileadmin/user_upload/Website/Downlo https://www.bistum-muenster.de/fileadmin/user_upload/Website/Downloads/Rat-Hilfe/Ansprechpartner-sex-Missbrauch/2022-07-12-Protokoll-Treffen-Betroffene-Bischof.pdf
d. Die fingierte Unabhängigkeit von Bistum und UKA
Die Interventionsstelle des Bistums hat also ganz bewusst gegen die Statuten der von der DBK vereinbarten Regelungen verstoßen. Die Korrespondenz zwischen der Interventionsstelle und der UKA belegt darüber hinaus, dass auch der UKA bewusst war und ist, dass das Bistum Münster sich bei zahlreichen Anträgen nicht an die von Frau Reske proklamierte Unabhängigkeit der Berater gehalten hat. Und das offenbar ohne Konsequenzen.
e. Alte Vorwürfe von Betroffenen als neue Erkenntnisse des Bistums
Im Protokoll der Treffens mit dem Bischof am 01.07.2022 ist nachzulesen, dass der Interventionsstelle vor einem Jahr die Problematik des fehlenden Widerspruchsrechts, der Ungleichbehandlung bei vergleichbarem Tathergang, die fehlende Begründung der UKA-Entscheidungen und die vielfach als zu niedrig empfundenen Anerkennungsleistungen vorgehalten wurden. Unternommen haben die Interventionsstelle und Bistumsleitung offensichtlich nichts.
Nach dem Kölner Urteil diese Argumente als eigenständige und neuwertige Kritikpunkte medienwirksam zu veröffentlichen, spricht für die hervorragende Arbeit der PR-Abteilung des Bistums, keinesfalls aber für die Betroffenenorientierung der Interventionsstelle.
f. Bischöfliche Vorentscheidungen
Bischof Bätzing hat in der Pressekonferenz der DBK im Herbst 2020 eine Obergrenze von 50.000 € vorgegeben. Diese Obergrenze könne zwar in Ausnahmefällen überschritten werden. Allerdings nur mit der Genehmigung des jeweiligen Bistums! Die UKA noch vor ihrer Gründung in ihrer Handlungsfreiheit derart zu begrenzen, sie gleichzeitig in ihren Entscheidungen als „frei und unabhängig“ zu bezeichnen, zeigt ein weiteres Mal, was die Kirche unter Freiheit und Unabhängigkeit versteht. Es ist ein Zeichen ihrer Vorstellung von Gewaltenteilung. Vor allem aber zeigt es, dass es, dass die Kirche sich das Recht herausnimmt, die Begrifflichkeiten eigenmächtig zu deuten und ihren Eigeninteressen gemäß auszulegen.
Der Interventionsbeauftragte erwähnt diese finanziellen Vorgaben der DBK mit keinem Wort, suggeriert stattdessen, dass die Höhe der Zahlungen von der UKA vollkommen frei und unabhängig festgelegt wurden.
g. "Ungute Entwicklungen"
Dass ein führender Vertreter des Bistums sich nach Jahren dazu bekennt, die Anerkennungszahlungen seien vollkommen unangemessen, ist wirklich bemerkenswert.
Das Anerkennungsverfahren sieht eine Plausibilitätsprüfung vor, die genau dazu dient, derartige Simulanten und Trittbrettfahrer herauszufiltern. Dieses Prüfungsverfahren und dessen Qualität haben nicht die Betroffenen, sondern die Bistümer selbst zu verantworten. Sie geschieht auch im Vorfeld der Antragsstellung an die UKA, hat also mit der Höhe der Anerkennungszahlungen gar nichts zu tun.
Wieso stellt der Interventionsbeauftragte also dieses Verfahren in den Kontext und suggeriert damit einen Zusammenhang zwischen Betroffenen und „Trittbrettfahrern“ / Simulanten?